Texte

»recherche du temps perdu« von Moriz Stangl

“Die Fakten sind immer traurig und besonders; die Idee jedoch, die man daraus ableitet, ist allgemein und fröhlich. Was wir wiederholen ist immer ein besonderes Leiden. Das Faktum der Wiederholung aber bildet eine allgemeine Freude…” 

Proust und die Zeichen (1993), Gilles Deleuze

Ein Satin-Schleier in glänzendem Rosa zeigt auf seiner Oberfläche Bilder, die dokumentarische Kriegsdarstellungen wie die alltägliche Poesie einer Himmelsbetrachtung aufrufen. Hinterglasdrucke in Schwarz-Weiß inszenieren Screenshots in schlichter Eleganz und der Bildsprache klassischer Schönheit, bis bei näherer Betrachtung Flecken auf den Gesichtern sichtbar werden.

Julia Schäfers Arbeiten formulieren eine „recherche du temps perdu“, im Doppelsinn des Wortes Recherche als Sichtung und Suche: Zwar werden verschiedene Medien – Videos, Bücher und das Netz – auf wiederkehrende Motive gesichtet, aber diese Recherchearbeit bleibt nicht einfach bei einer kultursoziologischen Zusammenschau des kollektiven Bildgedächtnisses stehen. Vielmehr verläuft durch die Wiederholungen und Variationen hindurch die Suche nach einer Erinnerung: ein Versuch in den immer fremden Zeichen, die uns die Sprache und die mediale Bildwelt zur Verfügung stellen, diesen einen Moment zu rekonstruieren. Es sind Momente der Entäußerung: der zerstörten Biographien im Krieg, der Ausblendung von Subjektivität im Porno. 

In der Wiederholung stellt Julia Schäfer eine Erinnerung her, die zugleich intim und allgemein, singulär und gesellschaftlich ist – sie tut dies in einem Akt der Aneignung, indem sie das Schwarz-Weiß der Wolkenabbildungen händisch koloriert, oder indem sie den pornographischen Bildern ihre Plakativität und Nutzbarkeit entzieht, und ihnen jene stille Ambivalenz zurückgibt, in der sich ein Subjekt spiegeln kann und in seiner gesellschaftlichen Gemachtheit erkennen kann. Anstelle der Rekonstruktion eines uneinholbaren Ereignisses tritt seine Transformation in der zarten Faszination des Materials und die Neuschöpfung einer kollektiven Erinnerung in den Spielen von Gedächtnis und Einbildungskraft.